Unverbissen vegetarisch

…flexitarisch, vegetarisch, vegan? Hauptsache, die Richtung stimmt!

Zwei vegane Selbstversuche wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten

Das Thema „vegan“ erlebt ja derzeit einen gewissen Boom: Mainstreammedien berichten vermehrt über die Möglichkeit, sich rein pflanzlich zu ernähren. Auch die Anzahl der Blogs, die aus dem veganen Alltag berichten und viele interessante Rezepte bringen, steigt gefühlt von Woche zu Woche.

Blogformat „30 Tage-Challenge“

Besonders reizvoll zum Mitlesen für Interessierte sind dabei ohne Frage die Selbstversuche: Jemand beschließt, sich z.B. vier Wochen vegan zu ernähren und bloggt darüber, wie das ganz konkret statt findet. So richtig publik wurde dieses „Format“ durch Attila Hildmann, der nicht nur veganer Koch, sondern auch ein recht erfolgreicher Medien-Mensch ist. Über seine veganen „Challenges“ (30 Tage „fit for fun“ mit seinen Rezepten und sportlichen Vorgaben) wurde schon viel berichtet, auch jetzt gibt es wieder Blogger, die sich gerade in „Woche 1“ befinden und davon erzählen.

Da die „Challenges“ schon genug Aufmerksamkeit bekommen und zudem mit Produkten, bzw. sogenannten „Superfoods“ gearbeitet wird, die mir zu exotisch für den Alltag sind, stelle ich hier zwei ganz andere Selbstversuche mit der pflanzlichen Küche vor, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Selbstversuch Katharina Seiser: Gourmet-Küche, die aus dem Vollen schöpft

Da ist zunächst Katharina Seiser, die seit Anfang Januar mit dem Selbstversuch „Wie schmeckt vegan?“ Tag für Tag ihre Erlebnisse und Erkundungen beschreibt. Als kulinarische Journalistin ist sie schon recht bekannt und hat Bücher wie „Deutschland vegetarisch“ und „So schmecken Wildpflanzen“ geschrieben. Ihr oberstes Credo beim Essen ist der GENUSS, ihr Kochstil hat Gourmet-Niveau und von daher beurteilt sie auch veganes Essen, mit dem sie sich sichtlich schwer tut. Kein Wunder, denn sie setzt die Latte der Vorgaben (siehe Tag 1) so hoch, dass jeder Einsteiger ein Problem hätte, vom Start weg all diesen mehr oder weniger wünschenswerten Bedingungen zu entsprechen.

Jeden Tag vermerkt Seiser auch ihre jeweiligen „Veganen Erkenntnisse“, die zu vielen kontroversen Kommentaren anregen. Durchweg bemerkt man die Skepsis gegenüber allem Veganen, das einfach daher rührt, dass die Journalistin die ethische Motivation nicht teilt. Es stimmt halt doch, dass auch das Bewusstsein das Sein bestimmt: wessen Wahl nicht wirklich frei ist, sondern von rein journalistischem Interesse und dem Auftrag eines Magazins motiviert ist, erlebt vegane Ernährung eher als zwanghaft und beschränkend.

Angesichts der Kommentare und Verbesserungsvorschläge, die auf ihre Betrachtungen über veganes Essen folgten, gab sich die Autorin gar leicht empört (manche würden es „beratungsresistent“ nennen). Offenbar fühlt sie sich dadurch in ihrem Selbstverständnis als kulinarische Autorität angegriffen:

„viele eurer kommentare enthalten tipps. viele von denen, die mich weniger gut kennen, schlagen mir in verschiedenen spielarten vor, was ich “besser” machen könnte. ich muss sehr aufpassen, deshalb nicht beleidigt, verärgert und empört zu sein und scharf zurückzuschießen. ich habe nie um eine “beurteilung” meines essens, meiner mahlzeiten gebeten. die einzige, die beurteilen kann und darf, was für mich gut ist, bin ich. belehrung über lebensmittel, einstellungen und zugänge lasse ich stehen, als das, was sie sind, eure meinungen, mehr nicht.“

Tja was denn sonst? Wer etwas öffentlich macht, muss mit „Beurteilungen“ anderer leben – oder es halt lassen. Trotz solcher und anderer Irritationen sind „Kathas“ Blog-Postings durchweg lesenswert und enthalten auch manche kulinarische Inspiration. Zudem ist es einfach interessant, mal im Detail mitzubekommen, wie eine engagierte Köchin mit hohem Anspruch vegane Ernährung sieht und mit welchen Argumenten sie dagegen hält.

Selbstversuch von Franzi: 20 Euro pro Woche

Das totale Kontrastprogramm zu Seisers „vegan auf großem Fuß“ bietet in diesen Tagen die Hamburger Bloggerin Franzi, die sich auf „Wo gehts zum Gemüseregal?“ als „vegetarisch mit Hang zum veganen Leben“, “ völlig verliebt in Obst und Gemüse jeder Art“ und „erfinderisch in Sachen Essen“ selbst beschreibt. Ihre Anliegen – inspiriert vom Buch „arm aber bio“ – ist es, in einer beispielhaften Woche (!) herauszufinden, wie viel Bio und Nachhaltigkeit mit 20 Euro pro Woche möglich ist. Vom Start weg ist der Selbstversuch sehr spannend zu lesen:

Was ist drin, was nicht? Wie fühlt es sich an so abhängig von einem bestimmten Budget zu sein?
Kann man ausgewogen und gesund leben, mit einem gewissen Anspruch an die Lebensmittel und die Nachhaltigkeit eben dieser? Wie oben erwähnt, ich plante und wusselte die letzen zwei Wochen von A nach B, schrieb Preise auf, verglich, entschied wo ist Bio nötig, wo nicht. Wie weit komm ich überhaupt?
Heraus kam, dass mein Einkauf deutlich teuer als 20 Euro war. Zack, der erste Rückschlag…

Sie hat den Rückschlag natürlich gemeistert und so lesen wir nun täglich von der unglaublichen Mühe, mit diesem knappen Budjet über die Runden zu kommen. Minutiöse Planung ist angesagt – und erst beim Besuch eines Ladens der „Tafel“ kommt Franzi zum Schluss, dass ihr Plan gut machbar ist, sofern man sich dort mit einer gewissen Menge Lebensmittel für fast umsonst versorgen kann (was sie selbst nicht tut, da sie ja nicht wirklich bedürftig ist). Zu diesem Urteil kommt sie, weil die Tafel in ihrer Nähe wohl das Glück hatte, auch mit vielen Bio-Produkten „bespendet“ zu werden, was ja leider nicht überall so ist.

Da ihr Selbstversuch bisher und auch weiterhin ohne Tafel-Geschenke auskommt, sieht man, dass stellenweise fast „hungern“ angesagt ist. So wenig wie Franzi esse ich nicht – und bin damit vermutlich nicht alleine.

So spannend dieser Selbstversuch auch für alle sein mag, die beim Essen sparen müssen, so empfinde ich die Sache doch als recht zwiespältig: Wenn jemand erfolgreich vorführt, dass gesunde Ernährung – teilweise sogar BIO – mit nur 20 Euro pro Woche möglich ist, ist das Wasser auf die Mühlen all jener, die den Hartz4-Satz gerne noch weiter senken wollen. Diesem „Geht doch!“ würde ich ungern zuarbeiten wollen, zumal die „eine Woche“ keine realistischen Bedingungen für ein echtes Leben in Armut darstellen kann, wie dort Kommentierende richtig anmerken.

Autor: Claudia Klinger

Mit weiteren, teils recht persönlichen Themen findet man mich auf meinem seit 1999 aktiven Digital Diary. Und Veggie-News gibts auf Twitter.com/unverbissen. Unverbissen Vegetarisch gibts - noch! - auch auf Facebook,

8 Kommentare

  1. Liebe Claudia,

    du hast das Experiment ein wenig falsch verstanden, es geht mir NICHT darum zu zeigen, dass es jemand mit Harzt4 Budget NICHT schafft anständig zu essen. Im Gegenteil, es geht mir lediglich darum zu zeigen WAS mit 20 Euro möglich ist und was eben nicht. Nicht darum zu zeigen „Hey, ich schaff es mit 20 Euro, du nicht.“ Zumal das noch gar nicht raus ist, ob ich es überhaupt schaffe. ;-)

    Lieber Gruß,
    Franzi

  2. Im Übrigen, es geht nicht um 80 Euro die Woche und ICH selbst habe angemerkt, dass ich in einer Woche keine komplette Übersicht zu solchen Verhältnisse geben kann. ;-)

  3. @Franzi: das mit den 80,- war ein Tippfehler, hab ich korrigiert, danke!

    „….es geht mir NICHT darum zu zeigen, dass es jemand mit Harzt4 Budget NICHT schafft anständig zu essen“.

    Das ist total klar. Was du zeigst bzw. ausprobierst ist, dass es jemand mit Hartz4-Budjet bzw. sogar noch deutlich weniger SCHAFFEN KANN, anständig zu essen. Ich zweifle auch kein bisschen daran, dass es NICHT dein Motiv ist, den Befürwortern einer Senkung des Hartz4-Satzes noch Argumente zu liefern – ich weise nur auf die Möglichkeit hin, dass es doch SO verwendet wird.

  4. Nur weil etwas irgendwie verstanden werden *kann* ist es dennoch nicht grundsätzlich falsch, oder?

    Es gibt auch einfach sehr viele Menschen abseits von Hartz4, die auf die Ausgaben für ihre Lebensmitteln achten müssen oder wollen, aus zig verschiedenen Gründen.

    Und ich finde es gerade gut, dass Franzi auch mal aufzeigt, dass die Tafel kein ominöser Hinterhofverein ist, sondern dass man dort versucht, Menschen eine Lebensgrundlage zu geben.
    Schlimm genug, dass es solche Einrichtungen geben muss.

  5. @Linda: ich würde wohl kaum diesen Selbstversuch besprechen, ihn verlinken und ihm Aufmerksamkeit verschaffen, wenn ich das „grundsätzlich falsch“ fände. „Zwiespältig“ ist und bleibt mein Gefühl bei der Sache…

  6. Ute-Marion Wilkesmann hat in „Hartz IV in aller Munde“ schon 2009 ihren (erfolgreichen) Versuch dokumentiert, sich vollwertig (weitgehend) tiereiweißfrei zu ernähren, für 132 € pro Monat. Sehr empfehlenswertes Buch, mit einer Menge praktischer Tipps, nicht nur für schmale Geldbeutel, leider nur noch bis März ’14 auf dem Markt. Veganer müssen die ab und zu in den Rezepten vorkommenden Butter, Sahne & Honig austauschen, geht auch meist problemlos.

  7. Ergänzung: in den Blogs „Nicht nur Vollwertskandale“ und „Vollwertmenü“ zeigen Ute-Marion Wilkesmann und die LeserInnen, wie man einfach und schmackhaft kocht – vollwertig und seit einiger Zeit nahezu ausschließlich 100%ig tiereiweißfrei (d.h. nur noch die Verwendung von Honig trennt sie von „vegan“). Mir gefällt daran die Alltagstauglichkeit und das Unprätentiöse. So setzt halt jede ihre eigenen Schwerpunkte. Mir gefällt an Deinem Blog, dass Du einen gesellschaftlichen/politischen Anspruch hast – und z.B. lieber Formulare übersetzen hilfst statt Kringel auf Teller malst.

  8. Liebe Scilla: danke fürs Lob und die Tipps – guck ich mir gerne mal an! Hab mir erlaubt, die genannten Blogs in deinem Kommentar zu verlinken!